
Rechtsanwältin
Dr. Cathrin Correll
correll@kopp-assenmacher.de
Die umwelt- und insbesondere die klimapolitischen Festlegungen im neuen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD wurden umgehend als unambitioniert und rückwärtsgewandt, gar verheerend kritisiert – gerade einmal „35 Zeilen“ sei der Klimaschutz den neuen Koalitionsparteien „wert“. Inhaltlich werde die Energieversorgung statt auf erneuerbare Energien reaktionär wieder auf in- und ausländisches Gas gegründet, Emissionen nicht mehr verhindert, sondern durch Zukauf ausländischer Zertifikate lediglich kompensiert. Ist das so? Was ändert sich, was bleibt? – Eine Zusammenschau der wichtigsten Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag, die Einschätzungen des Expertenrates für Klimafragen in seinem kürzlich vorgelegten Zweijahresgutachten und seinem Prüfbericht für das Jahr 2024 zum Stand der deutschen Klimabilanz sowie die Regierungserklärung des neuen Bundesumweltministers Carsten Schneider vom 15.05.2025 vermitteln einen ersten Überblick.
Vorgaben aus dem neuen Koalitionsvertrag
Im Koalitionsvertrag steht – schon rein äußerlich – Klimapolitik nicht mehr an prominenter Stelle, etwa in bereits in der Präambel. Allerdings durchziehen klimapolitische Vorgaben die weiteren Kapitel Deutschland soll bis zum Jahr 2045 ein „klimaneutrales Industrieland“ werden. Ob Klimaneutralität bis zum Jahre 2045 in Deutschland allerdings überhaupt erreicht werden kann, ist schon nach derzeitigem Stand unsicher. Der Expertenrat für Klimafragen kommt in seinem aktuellen Zweijahresgutachten sowie in seinem Prüfbericht für das Jahr 2024, datierend von Februar bzw. Mai 2025, zum Ergebnis, dass es jedenfalls ab dem Jahr 2030 vor allem wegen der nach wie vor zu hohen nationalen Emissionen aus dem Verkehrs- und Gebäudesektor wenig wahrscheinlich ist, dass Deutschland die festgesetzte Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 erreichen wird.
Auf dem Weg zur Zielerreichung bis 2045 benennt der Koalitionsvertrag die folgenden klimapolitisch motivierten Grundpfeiler:
CO2 -Kompensation über Emissionszertifikate
In den europäischen Verordnungen vorgezeichnet, allerdings dort nur vorgesehen für den Fall, dass ein Mitgliedstaat seine Klimaziele nicht durch Minderung seines CO2-Ausstosses direkt erreicht, dürfen über den Zukauf von Emissionszertifikaten entstandene Defizite ausgeglichen werden. Der Koalitionsvertrag 2025 sieht den Zukauf europäischer und außereuropäischer Zertifikate für nachweislich emissionsmindernde Projekte aus anderen Ländern als Ausgleich für eigene nationale Defizite bei der Zielerreichung an prominenter Stelle des Kapitels „Klimaschutz“ vor.
CO2-Kompensation durch Einlagerung und andere umweltbezogene Forschung und Technologie-Entwicklung
Allgemein bekennt sich die Koalition dazu, moderne Klima- und Umwelttechnologien fördern zu wollen und darauf einen speziellen Forschungsfocus zu legen.
Ausdruck des Bekenntnisses zu klimabezogenen modernen Technologien ist z.B. die Offenheit für CCS/CCU-Strategien, die schon die vorherige Koalition als Gesetzesvorhaben mit dem neuen KSpG vorangebracht hatte, was dann aber „auf Eis gelegt“ worden war. Die Einlagerung von verflüssigtem CO² in der Nordsee soll zeitnah genehmigt werden können. Nach dem Willen der Koalitionspartner soll die Technologie allerdings nun nicht mehr nur Industrien, deren Emissionen real nicht gesenkt werden können (wie der Zementindustrie) offenstehen, sondern auch von anderen Industriezweigen, bei denen an sich vermeidbare oder zumindest minimierbare Emissionen anfallen, z.B. von Gaskraftwerken und der Stahlindustrie, frei genutzt werden können (Rz. 172 des Koalitionsvertrages).
Energie- und Wärmeversorgung
In der Energiepolitik (Kap. 1.4.des Koalitionsvertrages) steht – wie auch schon unter der Ampelkoalition – das Bekenntnis zur Energiewende, einschließlich des Ausbaus und der Modernisierung der für die effektive Nutzung erneuerbarer Energien erforderlichen Netze an erster Stelle. Allerdings wird das Tempo beim Umstieg auf erneuerbare Energien – außer im Bereich der Windenergie an Land, in dem die Länder bereits weit vorangeschritten sind und daher die Flächenziele unverändert übernommen werden sollen – deutlich gedrosselt. Die neue Koalition setzt auf „konsequente Ausrichtung aller Bereiche, auf Bezahlbarkeit, Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit“, die Klimabilanz rückt dabei eher in den Hintergrund.
Primärer Energieträger soll nach den Vorgaben der Koalition in- und ausländisches Gas sein, dies zwar ausdrücklich als „Übergangstechnologie“, jedoch verbunden mit Bauvorgaben und sozialen Entlastungs- und damit Verstärkungsfunktionen: Neue Gaskraftwerke mit einer Leistung von mindesten 20 Gigawatt sollen gebaut, die Gasumlage abgeschafft und der Strompreis um mindestens 5 Cent pro kwh gesenkt werden.
Strom aus Kohle bleibt ebenfalls Energieträger und soll jedenfalls noch „bis 2038“ in Deutschland gewonnen und genutzt werden. Während die Ampelkoalition den Ausstieg vorgezogen und bis 2030 geplant hatte, bleibt es nach dem neuen Koalitionsvertrag bei der (ursprünglichen) Zusage zum Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038. Unter Einbeziehung der heute schon ersichtlichen wirtschaftlichen Vorgaben für den Emissionshandel dürfte der aus Kohle gewonnene Strom bis dahin faktisch längst teurer geworden sein als Strom aus erneuerbaren Energien. Die zeitliche Verlängerung der Kohleverstromung bedeutet damit indirekt eine Subventionierung dieses Energieträgers.
Zur Wärmeversorgung (Kapitel 1.3.) von Gebäuden – nationales klimapolitisches Problemfeld neben dem Verkehrssektor – findet sich im Koalitionsvertrag in erster Linie Beruhigendes für die Bürger: Das stark umstrittene Gebäudeenergiegesetz (GEG) der Ampelkoalition wird „reformiert“, was in erster Linie bedeutet, dass das Heizungsgesetz der Vorgängerregierung zunächst einmal vom Tisch kommen soll. Was daraus für die Wärmeversorgung folgt? – Unklar und offen. Fest steht, dass die vormalige, unbeliebte 65-Prozent-Quote für erneuerbare Energien für neue Heizungen ab 2028 (§ 71 GEG) aufgegeben wird. Konkrete Verwendungsziele für den (schuldenfinanzierten) Sonderfonds für den Klimaschutz, die sinnvollerweise vor allem die Energie- und Wärmeversorgung betreffen sollten, sind bislang nicht bekannt.
Verkehrswende
Eine Wende kann sich auch rückwärts vollziehen und danach sieht es nach den Vorgaben im Koalitionsvertrag 2025 aus. Es finden sich kaum klimamotivierte Steuerungen für den Verkehrssektor, kaum Anreize für klimaneutrale Fortbewegung, abgesehen vom zugesicherten weiteren Ausbau des Schienennetzes. Zwar soll in Zusammenhang mit der Stärkung der „Automobilindustrie“ (Rz. 203 ff. und Kap. 1.3) auch der Umstieg auf E-Mobilität weiterhin gefördert werden. Allerdings orientieren sich die dort konkret vorgesehenen verkehrspolitischen Lenkungsmethoden ausschließlich an der Individualmobilität: Erhöhung der Pendlerpauschale, Zuschüsse zu Dienstfahrzeugen und die Subventionierung von Agrardiesel.
Genehmigungsvorhaben mit Umwelt- und Klimabezug
Für planungsrechtlich relevante Großvorhaben sieht der Koalitionsvertrag vor allem beschleunigte und vereinfachte Genehmigungsverfahren vor. Erreicht werden soll dies aus der Perspektive des Klimaschutzes etwa über eine Entschärfung („Flexibilisierung“) der bestehenden Schwellen für die Verpflichtung zu klimabezogenen Vorprüfungen im Genehmigungsverfahren, etwa für die Schwellen für Umweltverträglichkeitsprüfungen und eine Abschwächung prozessualer Beteiligungsrechte von Umweltvereinigungen.
Umsetzung der Vorgaben durch das Ministerium für Klimaschutz, Naturschutz und Umwelt
Der neue Umweltminister Carsten Schneider hat in seiner Regierungserklärung vom 15.05.2025 vier Ziele benannt, an denen die Umwelt- und Klimapolitik seines Ministeriums zukünftig ausgerichtet sein soll: Als erstes werden gleichwertige Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land benannt. Dies soll erreicht werden, indem die unterschiedlichen Interessen- und Entscheidungsträger gemeinsam und abgestimmt die Richtlinien für die Klimapolitik entwickeln, gegenläufige Tendenzen also eingeebnet werden sollen. Das zweite Ziel lautet Kontinuität, also auch die Fortführung von Projekten, die von der Regierung zuvor bereits auf den Weg gebracht wurden und nun fortgesetzt werden sollen. Gemeint sind damit klimabezogene Programme (etwa das Nationalparkprogramm und das Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz) genauso wie die realistischerweise erreichbaren Flächenziele für die Windenergienutzung an Land und verabschiedungsreife Gesetzesvorhaben, etwa das zur CO2-Einlagerung. Als drittes Ziel wird die Sozialverträglichkeit von Umweltpolitik hervorgehoben. Sie soll sich in erster Linie über die (derzeit allerdings noch nicht näher konkretisierte) Verwendung der für den Klimaschutz bereitgestellten Sonderfonds auf europäischer und nationaler Ebene realisieren. Schon jetzt findet diese Komponente ihren Niederschlag in den im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Vorgaben für die Energie- und die Verkehrspolitik, welche deutlich sozialorientierte Komponenten (Wegfall der Gasumlage, Förderung von Agrardiesel, Fortsetzung der Kohleverstromung) enthalten.
Als viertes Ziel seiner Politik benennt Umweltminister Schneider die „Sicherheit Deutschlands“. Diesen Aspekt will er ausdrücklich nicht (rein) militärisch ausgelegt wissen, sondern weiter und vor allem versorgungsbezogen umfassend verstehen. Dadurch gelangen klimarelevante, von Verknappung bedrohte und deshalb die Sicherheit der Bürger bedrohende Versorgungskomponenten wie Wasser, Energie und Nahrung in den Fokus. Weiter gedacht entwickeln sich hieraus die relevanten Fragen nach Zukunftsverträglichkeit und Verteilungsgerechtigkeit knapper werdender Ressourcen. Die Verankerung der nationalen Energieversorgung an die Energieträger Gas und Kohle (statt an erneuerbare Energien) im Koalitionsvertrag kann zwar kurzfristig als Ausdruck auch dieser Sicherheitskomponente gesehen werden, dürfte aber – jedenfalls nach den Darlegungen in der Regierungserklärung und der dort erkennbar gemeinten weiteren Interpretation von Versorgungssicherheit – diesem Ziel eher gegenspielen.
Erste Bewertungen
Während das Kapitel zum Klimaschutz (Kap. 1.4. des Koalitionsvertrages) kaum über ein Bekenntnis zu den europäischen Klimaschutzzielen und deren zeitlichen Festlegungen hinausgeht, finden sich interessantere Schwerpunktsetzungen im Kapital „Industriestandort stärken“ (Kapitel 1.1. des Koalitionsvertrages). Zusammenfassend vermittelt der Koalitionsvertrag das Bild einer Klimapolitik, die Klima- und Umweltaspekte „mitdenkt“, aber sie nicht (mehr) zur Leitkultur erhebt. Der Schwerpunkt der neuen Klimapolitik liegt auf einem klaren „Go“ für neue Vorhaben zur Stärkung des Industriestandorts Deutschlands. Das zeigt sich nicht nur in dem Anspruch, Genehmigungsverfahren zu verschlanken und zu beschleunigen, sondern auch in einer (vermeintlich?) „einfacheren“ Energie- und Wärmeversorgung. Klimaschutz soll mit Versorgungssicherheit und Sozialverträglichkeit verbunden werden. An dem Anspruch, progressiv voranzugehen, irritiert dann aber doch das Festhalten an alten, eigentlich schon abgeschnittenen Zöpfen: Passt der Bau neuer Gaskraftwerke zu einer, ausdrücklich nur als „Übergangs- bzw. Backuptechnologie“ gemeinten Energieabsicherung und das Festhalten an der Kohlesubventionierung bis 2038, der Pendlerpauschale und dem Agrardiesel zum Ziel einer verteilungsgerechten klimaneutralen Industrienation? – Das dürfte diskussionswürdig, aber nicht unmöglich sein, etwa wenn im Gegenzug bzw. daneben neue klimabezogene Technologien erforscht, entwickelt, vorangebracht und realisiert werden, wenn es gelingt, Deutschland tatsächlich als umwelttechnologiebezogenen Vorreiter zu entwickeln, etwa über die Verwendung der Mittel aus den Klimafonds für innovative Vorhaben.
Dass bereits erfolgreich angelaufene klimarelevante Programme und Vorhaben ungeachtet ihrer politischen Herkunft fortgeführt werden, ist in diesem Zusammenhang positiv zu bewerten.
Zumindest kritikwürdig ist die Deklaration des Emissionshandels im Koalitionsvertrag als Instrument des „Klimaschutzes“. Tatsächlich ist der Zukauf von Emissionszertifikaten bei erkennbaren Defiziten in der Klimabilanz eines Mitgliedstaates von der europäischen Ebene stets als „Hilfsmittel“ und Notlösung angelegt. Es besteht dabei immer die Gefahr, dass die eigene Klimabilanz nur verwässert wird, anstatt an nationalen Emissionsreduktionen zu arbeiten.
Schwer wiegt, dass für die beiden klimapolitischen „Hauptbaustellen“ Deutschlands (Verkehr und Bauen/Wohnen) jedenfalls der Koalitionsvertrag eigentlich keine nach vorn weisenden Ideen vorweist. Hier wirken die Vorgaben aus dem Vertrag verzagt und tatsächlich rückwärtsgewandt.
Zusammengefasst stehen bislang die wenigen konkreten Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag allenfalls kurzfristig mit den erklärten Zielen einer sozialbezogenen Klimapolitik, der „Versorgungssicherheit“ und der „Erreichung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land“ in Einklang, die Umweltminister Schneider in seiner Regierungserklärung hervorgehoben hat.
Ob sich langfristige Erfolge aus der nationalen Klimapolitik entwickeln werden, hängt vor allem davon ab, ob der wissenschafts- und technologiebezogene Ansatz den gewünschten „Drive“ entwickelt - gelingt das, wird das auch dem Klimaschutz dienen. Weitere Ideen für klimafreundliche Vorhaben könnten aus der – derzeit noch offene - Verwendung der zusätzlich bereitgestellten Mittel aus dem Klimafonds folgen. Für Industrie und die Forschung werden sich aus den Vorgaben zunächst positive, investitionsfreundliche Impulse ergeben, dies insbesondere dann, wenn es parallel dazu gelingt, bürokratische Hürden, wie angekündigt, tatsächlich rasch zurückzubauen. Werden dann klimabezogene Vorhaben aus den dafür bereitgestellten Mitteln des Klima-Sondervermögens erfolgreich entwickelt und auf den Weg gebracht, kann auch der Spagat aus Klimaschutz und Wirtschaftswachstum in einem modernen Industriestaat gelingen, ohne dass der Klimaschutz zu kurz kommt.